Ein weißer Borzoi läuft über eine Wiese, darüber fliegen zwei weiße Drachen – Fuchur mit weichem Fell und Haku mit grüner Mähne.

Die Legende von den Borzoi-Drachen

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Es war in einer Zeit, da die Himmel noch offenstanden.
Wer mit wachen Augen ging, konnte das Verborgene sehen.
Und so geschah es, dass ein Kind allein die Felder durchwanderte,
als die Sonne sich neigte und der Wind die Halme wie Wellen schlug.

Da erschien ein Glanz im Westen.
Ein Körper schälte sich aus dem Licht – lang, schlank, weiß wie Schnee.
Es war Fuchur, der Glücksdrache,
dessen Flug ein Lachen war,
dessen Augen die Herzen leicht machten.

Kaum hatte sich der Himmel beruhigt,
da rauschte ein zweiter Strom durch die Luft.
Haku kam, der Hüter des Flusses,
weiß und drahtig, von grüner Mähne umweht,
ein Drache, der nicht donnerte, sondern floss,
wie Wasser, das beschlossen hatte, zu fliegen.

Die beiden erkannten einander im selben Augenblick.
Sie tanzten Spiralen über den Wolken,
zogen Muster, die aussahen wie eine Sprache,
die kein Mensch mehr lesen konnte.

Und das Kind, das unten stand,
sah in ihren Leibern ein vertrautes Bild:
den Borzoi, den russischen Windhund.
Dieselbe Eleganz, dieselbe Würde,
derselbe Flug über das Feld,
bei dem die Erde schweigt und der Himmel singt.

Da wusste das Kind:
Drachen und Borzoi teilen ein Geheimnis.
Sie sind Boten des Fließens,
der Leichtigkeit, des Glücks.

Fuchur lachte, hell wie Glocken,
Haku antwortete mit dem Murmeln des Stroms.
Dann flogen sie fort, jeder in seine Welt,
doch ihre Spur blieb lange stehen
wie eine weiße Schrift am Himmel.

Und so erzählt man seit jener Stunde:
Wer einen Borzoi über Felder gleiten sieht,
sieht in Wahrheit den Atem der Drachen.
Und wer die Drachen träumt,
erkennt den Windhund im Traum.

Denn die Welten sind nicht getrennt –
sie spiegeln einander im Flug.


Den großen Erzählern gewidmet:

Michael Ende (1929 – 1995), der mit der Unendlichen Geschichte Phantásien in unsere Herzen pflanzte,

und

Isao Takahata (1935 – 2018) sowie Yasuyoshi Tokuma (1921 – 2000), die gemeinsam mit Hayao Miyazaki und Toshio Suzuki das Haus Studio Ghibli gründeten, damit Bilder zu Träumen werden konnten.

Mögen ihre Werke wie Fuchur und Haku weiterfliegen – leicht, voller Hoffnung, und in jeder Begegnung zwischen Mensch, Traum und Tier neu geboren.

Und still an ihrer Seite, als irdischer Spiegel der Anmut: der Borzoi, dessen Flug über die Felder uns erinnert, dass das Wunderbare niemals fern ist.


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